Freitag, 19. Oktober 2018

Die Hütte am Meer

Vorwort
Diese kleine Geschichte entführt uns in eine Region an der ostfriesischen Küste. Wir schreiben das Jahr 1978. Durch vielerlei Umstände kam es dazu das unsere Protagonistin Maren sich in jene Region zurück gezogen hatte. Klar sie hätte sich auch in den nächst besten Flieger setzen können, doch irgendwie lag ihr das Meer und der Wind an der heimischen Küste einfach mehr. Ihr Onkel mütterlicher Seite hatte ihr vor ewigen Zeiten ein altes abgelegenes Ferienhaus direkt am Strand vermacht. Perfekt um allem zu entfliehen, machte sich Maren auf dort einige Zeit alleine zu verbringen. So kommen wir zu unserer Geschichte.
Kapitel 1
Stellt euch vor ihr lebt in einem Haus am Meer zurückgezogen und ganz für euch. Die Abgeschiedenheit hilft euch abzuschalten und euch wieder neu zu finden. Maren brauchte nach dem Unfall die Zeit der Ruhe. Der Arzt hatte ihr angeraten sich eine längere Auszeit zu nehmen, um sich und ihren Körper zu regenerieren.
Nach der Reha ging es ihren Beinen wieder besser und die Spaziergänge am Strand würden ihr helfen weitere Fortschritte zu machen.
Wenn da nur nicht die Schuldgefühle wären. Niemals könnte Maren den eingeklemmten Körper von Mieke vergessen. Feuerwehrleute die im Blaulicht versuchten die beiden aus dem verunglückten Auto zu retten. Noch immer hört sie Nachts die Schreie ihrer besten Freundin. Und sicher würde sie niemals vergessen das Mieke wegen ihr im Rollstuhl sitzt seit diesem Vorfall vor einem Jahr. Es kommt nicht selten vor das sie nachts schweißgebadet aufwacht, die Augen weit aufgerissen und dabei den Unfall vor Augen.
Nun lebt Maren schon einige Wochen hier wo ihr einziger Trost das Meer ist. Tagsüber joggt sie am Strand oder geht in den Dünen wandern. Einmal die Woche machte sie sich auf ins fünf Kilometer entfernte Dorf um Lebensmittel im dortigen Tante Emma Laden zu kaufen. Das war dann auch schon einer der wenigen zwischenmenschlichen Kontakte für sie. Wenn sie nicht dem Rauschen des Meeres lauschte nutzte Maren die Zeit um zu Malen. Dann saß sie stundenlangen in den Dünen, den Wind im Gesicht, und malte bis ihr Kopf frei war.
So gingen einige Wochen ins Land bis dann eines Tages im Zwielicht der untergehenden Sonne an der Tür geklopft wurde. Wer sollte um diese späte Stunde den Weg hierher auf sich genommen haben? Kaum jemand kannte den leicht zugewucherten Pfad zum Haus herunter. Und so machte sich ein Ziehen in Marens Magengegend breit. Ein weiteres Klopfen riss sie aus ihren Gedanken und lenkte ihren Blick auf das Türschloß. Ein Glück, Verriegelt. Schauer liefen über Marens Rücken. So lange sie nun schon hier wohnte hatte sich niemand blicken lassen. Weder die Leute aus dem nahe gelegenen Dorf noch sonst wer, aber nun stand dort jemand vor der Tür und sie überlegte nun seit einer gefühlten Ewigkeit irgendwelche Horrorszenarien statt einfach die Tür zu öffnen. Ein weiteres Klopfen. Sie nahm sich ein Herz, ihre Hand griff nach dem Türschloß, langsam schob Maren den Riegel zur Seite und ein weiterer Handgriff später öffnete sich die Tür. Zuerst einen Spalt weit offen blickte sie seitlich durch die Öffnung nach draußen. Doch statt der erwarteten Person war dort niemand zu sehen, nur ein Brief lag auf dem Boden. Immer noch unsicher wie sie sich verhalten sollte griff Maren schnell nach dem Brief, knallte die Tür mit aller Kraft wieder zu und verriegelte das Schloss. Mit dem Rücken angelehnt an der nun verschlossenen Tür fiel ihr Blick auf den Brief in ihrer zitternden Hand. Weder stand ein Absender noch ein Empfänger auf dem weißen Umschlag. Langsam riss sie den Umschlag auf und fingerte den Brief heraus, wobei ein kleines Foto auf den Boden glitt. Neugierig beugte Maren sich nach unten um das schwarz-weiß Foto aufzuheben und in Augenschein nehmen zu können. Die kleine verwitterte  Fotografie zeigte das Haus in dem Maren nun schon seit Wochen wohnte. Auf einer Bank saß eine junge Frau, deren Gesicht Maren leider nicht erkennen konnte, aber ihre Kleidung schätzte sie um die Jahrhundertwende. Auf irgend etwas zeigte die Frau links von ihr im Bild, doch wer oder was auch immer ließ sich nicht erkennen.
Maren drehte das Foto um, auf der Rückseite stand in Schreibschrift "14. Oktober 1902  Düünhütt, Rebekka Krayenborg". Wer mochte die Frau sein? Ihrer Familie gehörte dieses Haus nun schon seit Urzeiten aber der Nachname sagte Maren überhaupt nichts. Gerade als sie immer weiter ins Grübeln geriet fiel ihr der Brief aus dem Umschlag ein.
Langsam entfaltete sie den auf Büttenpapier verfassten Brief, ihre Augen überflogen die ersten Zeilen.
"Fühle dich nicht sicher, niemand wird es verstehen.
Egal wohin der Weg dich führt, er wird hier enden.
Finde ihren letzten Ruheort."
In ihrem Kopf überschlugen sich die Gedanken, was sollte all das nur? Mit dem Brief in der Hand ließ sie sich auf das Sofa fallen. Marens Blick fiel durchs Fenster nach draußen, die Sonne war im Begriff langsam ins Meer zu versinken. Bisher gab ihr das Meer immer Ruhe und Geborgenheit, aber jetzt fühlte sie sich beobachtet. Wieder spürte sie diesen Schauer, Gänsehaut überzog ihre Arme. Sie rieb sich die Arme, dann legte Maren den Brief auf den Stubentisch, stand auf und ging in die Küche um sich einen Tee zu machen. Das würde sie hoffentlich beruhigen und einen klaren Blick auf diese ganze Sache schaffen.
Noch ganz in Gedanken versunken stellte sie den Teekessel auf den Kachelofen.  Das Feuer ließ das Wasser langsam aufkochen, so konnte Maren unterdessen die Teeblätter vorbereiten. Das Wasser war kurz davor zu kochen als auf einmal ein lauter Knall zu hören war. Maren fielen die Teeblätter aus der Hand, ihre Blicke zuckten durchs Haus. Von wo kam dieser Lärm? Reflexartig zog sie sich immer weiter in Richtung Küchenwand zurück.